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Gebt den Kindern echte Kerzen in die Laterne! Ein Plädoyer

Am 11. November ist St. Martin und allerorts finden nun wieder Laternenumzüge und Laternenfeste statt. Die kennen wir fast alle aus unserer eigenen Kindheit. Mit einem Unterschied: In den 1970er- und 1980er-Jahren steckten echte Kerzen in den selbst gebastelten oder gekauften Laternen. Heutzutage blinken in schätzungsweise 98 Prozent der Laternen Stäbe aus Plastik mit LED-Lämpchen. Das soll sicherer sein, ist aber ästhetisch eine Zumutung, ökologisch gesehen katastrophal und sorgt häufig für Frust (weil die Dinger extrem schnell kaputtgehen). Und außerdem lernen Kinder so nicht, mit Feuer umzugehen. Ein Plädoyer für die gute alte Kerze in der Laterne.

Früher hat man für den Laternenumzug einmalig einen Laternenstab aus Holz* gekauft, den man dann jedes Jahr wieder verwenden konnte. Dazu eine Stabkerze. Die Laternen wurden im Kindergarten mit einem speziellen Kerzenhalter versehen, in den man die Kerze stecken konnte. Alternativ kam einfach ein Teelicht in die Laterne. Klar, ab und zu blies der Wind mal eine Kerze aus – aber die war auch schnell wieder angezündet. Ab und zu brannte auch mal eine Laterne ab – das war dann zwar meist ein mittelschweres Drama, aber das Kind hat etwas wichtiges gelernt: Mit Feuer muss man vorsichtig umgehen, sonst passiert etwas. Ich glaube, die Kinder gingen früher sorgsamer mit ihren Laternen um und nutzten sie anders als heute nicht dazu, andere damit zu schlagen oder sie wild herumzuschwenken.



Acht mal echte Kerze, null mal abgebrannte Laterne

Ich habe inzwischen fünf Kita-Laternenumzüge, zwei große St.-Martins-Laternenumzüge durch den Stadtteil und einen von der Musikschule hinter mir – und immer hatte mein Kind bzw. in diesem Jahr meine Kinder, echte Kerzen oder Teelichter in ihren Laternen. Beim ersten Mal war mein Sohn 1 Jahr und 3 Monate alt, und da stellte sich mir die Frage “Kerze oder Leuchtstab” gar nicht. Wir hatten eine fertige, runde Laterne gekauft und die hatte eine Halterung für eine Kerze. Dass es Laternenstäbe gibt, wusste ich damals noch gar nicht. Inzwischen ist Sohnemann 5.

Die Reaktionen anderer Eltern auf unsere echten Kerzen reichten von Erstaunen:”Ist das eine echte Kerze?” über “Also bei meinem Kind könnte ich das nicht machen” bis hin zu “Das ist aber mutig!”. Wahrscheinlich meinten sie eher “unverantwortlich!”. Ich war ein Alien, außer meinem Kind hatten im besten Fall noch ein oder zwei andere echtes Feuer in ihrer Laterne, meist waren wir aber die einzigen. Die Blicke der Mütter drückten bestenfalls Unverständnis, schlimmstenfalls große Missbilligung aus. Man hielt mich wohl für fahrlässig und unverantwortlich. Dabei ist nie etwas passiert – und meine Kinder sind jetzt nicht gerade die ruhigsten und bravsten Geschöpfe.

Ein guter Freund meines Sohnes (damals 3 Jahre alt) brach in Tränen aus, als er die Kerze sah. “Ich will auch echtes Feuer!”, musste sich seine Mutter anhören. Und mein Sohn war sichtlich stolz, dass ihm der Umgang mit echtem Feuer zugetraut wird. Sein Freund fand seinen blinkenden, elektrischen Laternenstab plötzlich voll uncool. Und das ist er auch.

Plastikschrott made in China

Diese Plastik-LED-Stäbe sind ökologisch gesehen im Vergleich zum Holzstab und der Wachskerze eine Katastrophe. Wenn man sie wenigstens jahrelang verwenden könnte – aber im Netz findet man allerorten Berichte von nicht funktionierenden, nach dreimal anschalten ausgehenden und wackelkontaktleidenden Laternenstäben. Manche Mütter besorgen gleich zwei Laternenstäbe auf einmal, weil sie fest damit rechnen, dass einer während des Umzugs den Dienst versagt. Und meist ist das auch der Fall. Nach den Martins-Umzügen sind die Mülleimer entlang der Straße voll mit kaputten Laternenstäben.

LED-Laternenstäbe sind billiger Plastikschrott made in China. Ich will mir gar nicht vorstellen, welche Menge an sinnlosem Müll da jedes Jahr anfällt. Und für die Herstellung von LEDs werden Aluminium und Seltene Erden benötigt, die nicht nur rar sind, sondern auch bei ihrem Abbau die Umwelt belasteten. Und dann sind da noch die Batterien, die in den Stäben stecken. Ich verstehe nicht, wie Mütter, die ihre Kinder in teure, nachhaltig produzierte Öko-Kleidung stecken, so etwas kaufen können.




Die Leuchtstäbe sollen Martins-Umzüge sicherer machen. Aber auf der Verpackung steht, dass sie nicht für Kinder unter 3 Jahren geeignet sind, wegen der kleinen Teile und der damit einhergehenden Erstickungsgefahr. Ich habe Berichte gelesen, wo Mütter berichteten, der Stab sei nach dem Einschalten kochend heiß geworden und der zweite sei in alle Einzelteile zerfallen, nachdem er von ihrem Sohn herumgeschleudert worden war. Und sie sollen bequemer sein, weil bei Wind keiner aufpassen muss, dass die Kerze nicht ausgeht. Nun ja. Ich habe schon viele Laternenstäbe ausgehen sehen – und zwar bei Windstille. Und die konnte man nicht so einfach mit einem Feuerzeug wieder anzünden…Die Dramen, die sich dann abspielen, stehen denen im Falle einer brennenden Laterne in nichts nach – nur dass es für die Kinder keinen Lerneffekt gibt.

Eine Beleidigung fürs Auge

Zudem sind die Leuchtstäbe – von denen manche sogar bunt blinken – ästhetisch eine Zumutung. Die Kabel sind oft so kurz, dass das Licht über der Laterne brennt statt innen drin. Oder daneben, wenn das Kind mit der Laterne rumfuchtelt. Sie leuchten auch in einem kalten Farbton – das zerstört jegliches Flair. Kein Vergleich zum warm strahlenden Kerzenlicht! Das ist einfach am schönsten!

Und nicht zuletzt wird damit das verbreitete Laternenlied, in dem es heißt “Brenne auf mein Licht, aber du meine liebe Laterne nicht”, das die Kinder gerne lauthals singen, ad absurdum geführt.

Sicher, mit diesen Leuchtstäben können die Laternen nicht in Brand geraten. Es kann nicht viel passieren – und das merken die Kinder auch. Deshalb verhauen sie sich gegenseitig mit ihren Laternen, schleudern diese herum, so dass nicht selten nicht nur die Stäbe, sondern gleich die ganze Laterne kaputtgeht.

Umgang mit Feuer und Kerzen lernen

Mama übt sich abends beim Yogakurs gerne in Achtsamkeit – aber den Kindern bringt man das nicht bei. Dabei wäre ein Laternenumzug mit echter Kerze eine gute Gelegenheit.  Dabei könnten Kinder auch gleich noch den richtigen Umgang mit Feuer lernen. Mit Feuer in Form von brennenden Kerzen kommen sie ja sowieso kaum noch in Kontakt. Sowohl der Weihnachtsbaum als auch der Adventskranz sind in den meisten Familien auch nur noch LED-betrieben, zum Geburtstag in der Kita sind echte Kerzen meist verboten. Wir leben in einer technisierten Welt. Ich bestreite ja gar nicht, dass das beim Adventskranz und Weihnachtsbaum aus Sicherheitsgründen Sinn macht –  trockene Tannenzweige geraten wirklich sehr schnell in Brand und ich durfte mal in einer Feuerwehrvorführung miterleben, wie schnell dann die ganze Bude in Flammen steht. Aber wie und wo sollen Kinder heute noch den richtigen Umgang mit Feuer lernen, wenn nicht beim Laternenumzug?

Überwindet eure Angst!

Und wenn man ein paar Dinge beachtet, dann kann nicht wirklich viel passieren. Bei ganz kleinen Kindern könnte man die Laterne aus einer leeren Wasserflasche basteln oder aus einem leeren Tetrapak – beide geraten nicht so schnell in Brand. Die Kerze sollte immer mittig in der Laterne stehen und so angebracht sein, dass sie nicht leicht umfallen kann. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, der nimmt ein Teelicht und klebt das entweder fest oder bastelt mit einer leeren Klopapierrolle eine Halterung (Dazu ein zwei Zentimeter großes Stück abschneiden, ringsherum einen Zentimeter tief einschneiden und dann die Laschen nach außen falten und auf dem Laternenboden festkleben). Und je weiter der Rand von der Kerze weg ist, desto geringer ist die Gefahr, dass die Flamme das Papier angreift. Zudem sollte die Laterne oben offen sein, damit die Hitze entweichen kann.

Helikoptermütter und -väter, überwindet eure Angst und gebt den Kindern echte Kerzen in die Laternen! Unfälle mit Feuer lassen sich am besten vermeiden, wenn die Kinder den Umgang mit dem flammenden Element üben. Das ist wie im Straßenverkehr. Da üben Eltern doch auch das richtige Verhalten. Und den Kindern gibt es viel Selbstvertrauen, wenn wir Eltern ihnen zutrauen, mit einer echten Kerze Laterne zu laufen. Rabimmelrabammelrabumm!

Gibt es außer mir noch Kerzenfans da draußen? Dann hinterlasst doch bitte einen Kommentar, damit ich mich nicht weiter als Alien fühlen muss.

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Fotos: Mamaclever


Eva Dorothée Schmid: Ich bin Journalistin und Mutter eines Sohnes (geb. 2012) und einer Tochter (geb. 2015), wohne in Hamburg und versuche als Mamaclever, Eltern fundierte Antworten auf alle Fragen zu geben, die sich mit Baby, Klein- oder Kindergartenkind so stellen.
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