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Elternblogs: Viel mehr als Tagebücher geltungssüchtiger Mütter

Mehr als 2.000 Elternblogs gibt es inzwischen im deutschsprachigen Raum. Viele belächeln sie als Tagebücher geltungssüchtiger Mütter. Dass “Blogger” inzwischen ein Beruf ist, von dem man leben kann, ist in vielen Köpfen noch nicht angekommen. Warum Elternblogs weit mehr sind als Hausfrauentagebücher.

Von vielen werden Elternblogs als Tagebücher von Müttern (seltener Vätern) mit Geltungsdrang belächelt. Die Frankfurter Rundschau brandmarkte sie erst kürzlich als unpolitisch und kritisierte, dort werde das Ideal der Hausfrau propagiert. Und nicht wenige fragen sich, wer die ganzen Elternblogs überhaupt lesen soll. Eltern haben doch sowieso wenig Zeit. Noch dazu liegen etliche Elternzeitschriften am Kiosk, die Süddeutsche Zeitung hat gerade ein weiteres auf den Markt gebracht. Und die Regale der Buchhändler sind voll mit Elternratgebern.

Vergangenen Freitag fand in Berlin zum dritten Mal die Blogfamilia statt, eine Konferenz für Elternblogger. Was vor drei Jahren mit rund 50 Bloggern in einem kleinen Kreuzberger Café begonnen hat, ist inzwischen eine professionelle Veranstaltung, die neben einem großen Saal mehrere Konferenzräume und ein riesiges Außengelände bespielt.

Inhalt der Goodiebag der Blogfamilia

160 Elternblogger trafen sich dort, es hätten noch mehr sein können – die Tickets waren nach einem Tag ausverkauft. Mütter und Väter tauschten sich unter anderem darüber aus, wie man die Leser per Newsletter an den Blog bindet, wie man Gewinnspiele so organisiert, dass keine rechtlichen Fallstricke drohen, es ging um Reputationsmanagement für Blogger, wie man vom Blog zum Buchschreiben gelangt und was man bei Fotos beachten muss. Ein großes Thema waren auch die sozialen Medien und wie man sie nutzt, um Leser zu gewinnen. Zudem hatten namhafte Firmen Stände auf der Blogfamilia. Sie fungierten als Sponsoren in der Hoffnung, gute Publicity von den Elternbloggern zu bekommen. Dementsprechend üppig fiel die Goodiebag aus.

Bloggen ermöglicht Müttern die Vereinbarkeit von Familie und Job

Nicht nur die Blogfamilia ist immer professioneller geworden, auch die Elternbloggerszene hat sich in den vergangenen Jahren stark professionalisiert. Die meisten Blogger mit vielen Lesern betreiben ihren Blog schon lange nicht mehr als Hobby, etliche verdienen damit gutes Geld. Manche haben den Blog sogar zu ihrem Hauptberuf gemacht.




Ja, vom Bloggen kann man durchaus leben, auch wenn der Aufwand dahinter locker mit einem Vollzeitjob vergleichbar ist. Das funktioniert bei den meisten mit Sponsored Posts, also Beiträgen über Produkte, für die sie von den Firmen bezahlt werden. Weitere Einnahmequellen sind Affiliate Links oder Werbebanner. Bloggen ermöglicht etlichen Müttern die Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf und ein eigenes Einkommen.

Die ersten Mütter, die nicht darüber diskutierten, ob Familie und Beruf vereinbar sind, sondern damit begannen, mit ihren Familien Geld zu verdienen, waren Amerikanerinnen: In den USA gibt es rund vier Millionen Mamabloggerinnen. Einige davon wurden reich und berühmt. Heather Armstrong beispielsweise verdiente mit ihrem  Blog Dooce, der seit 2001 besteht, bis zu 45.000 Euro monatlich und landete auf der Forbes-Liste der 30 einflussreichsten Medienfrauen. In Deutschland ernährt beispielsweise Marisa Hart von Babykindundmeer ihre fünfköpfige Familie mit ihrem Blog.

Elternblogs sind aber nicht nur eine Möglichkeit für Frauen, sich selbstständig zu machen, ein eigenes Einkommen zu haben und das ganze mit der Familie zu vereinbaren, sie haben auch eine gesellschaftliche Relevanz. Das machte der Vortrag der Journalistin und Ratgeberautorin Nora Imlau auf der Blogfamilia deutlich.

Elternblogs bilden die Vielfalt ab, wie man Familie leben kann

Nora Imlau auf der Blogfamilia

Nora Imlau lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Leipzig, sie ist seit vielen Jahren als Redakteurin für die Zeitschrift “Eltern” tätig und hat zahlreiche Elternratgeber veröffentlicht. Sie erzählte auf der Blogfamilia von ihrer 93-jährigen Großmutter, die als sie einst schwanger war, niemanden hatte, mit dem sie über die Fragen, die sie bewegten, hätte reden können. Damals habe es nur den unsäglichen Ratgeber “Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind” von Johanna Haarer gegeben. Darin wurde der eine Weg beschrieben, wie man mit Säuglingen umzugehen hat, und der fühlte sich für viele Frauen falsch an. Doch ein Austausch mit anderen, die Dinge vielleicht anders machten, fand kaum statt.




Inzwischen gebe es für jede Familie den passenden Blog, so Imlau, denn Elternblogs seien “ein Blumenstrauß an verschiedenen Möglichkeiten, die zeigen, wie Elternschaft gelingen kann”. Brei oder Fingerfood? Familienbett oder eigenes Kinderzimmer? Stillen nach Uhrzeit oder nach Bedarf? Geburt im Krankenhaus oder zu Hause? Kita mit 3 Jahren oder schon ab 1? Eltern haben heute die Wahl. “Elternblogs geben der Wahlfreiheit ein Gesicht.” Sie illustrierten jeden Tag, wie verschieden Elternschaft ist, dass es ganz viele verschiedene Wege gibt, eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein.

“Niemand kann mehr behaupten, er hätte noch nie davon gehört, dass es auch anders geht”, so Nora Imlau. Die Elternblogs trügen die Diversität von Familien in die Öffentlichkeit – und schafften auch Verständnis für andere Wege.

Blogger machen Eltern rebellisch – und das ist gut so

Und das hat Folgen. Der Gynäkologe einer Geburtsklinik beschwerte sich bei Nora Imlau: “Die Blogger machen meine Eltern rebellisch”. Die hätten davon gehört, dass man beispielsweise einen Geburtsplan machen könne und machten das dann auch. Ich finde das positiv, den solche Frauen erleben hoffentlich eine selbstbestimmtere Geburt als jene, die einfach immer alles hinnehmen, was die Ärzte raten.

Auch meine Sicht auf das Thema Geburt hat sich durch die Lektüre zahlreicher Blogs komplett geändert. Beim ersten Kind konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass es Sinn machen könnte, ein Kind woanders als in einer Klinik mit angeschlossener Neonatologie zu bekommen. Ich war auch überzeugt davon, die Ärzte und Hebammen wüssten schon, was am besten sei und würden genau das machen. Beim zweiten Kind hätte ich mir durchaus eine Hausgeburt vorstellen können. Ich entschied mich dann doch für eine Klinikgeburt – die aber lief genau so ab, wie ich mir das wünschte – weil ich genau wusste, was ich will und was nicht. Zu diesem Wissen hat mir auch die Lektüre vieler Blogtexte verholfen.

Nora Imlau sagte auch, dass ein großer Stressfaktor des Elternseins die Tatsache sei, dass man glaube, kein Kind außer dem eigenen verhalte sich auf eine bestimmte Art und Weise. Hier stärkten Blogger den Eltern den Rücken, den unter den tausenden Blogs findet sich bestimmt der einer Mutter oder eines Vaters, dem es ganz genau so wie einem selbst geht. Und geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid.

Elternblogs machen Elternmagazine besser

Und nicht zuletzt haben Elternblogs durchaus gesellschaftlichen und politischen Einfluss. Wenn ein großes Elternmagazin beispielsweise behauptet, Stillen verursache Karies oder ein anderes es okay findet, dass man mit seinem Kind über andere lästert, dann erntet es schnell einen Shitstorm – denn über Twitter, Facebook und Co. sind die Elternblogger sehr gut vernetzt und können schnell mal eine Welle machen. Gr0ße Elternmagazine mussten sich schon mehrmals korrigieren, entschuldigen oder zurückrudern. Elternblogger fungieren hier als Korrektiv und machen den Elternjournalismus tendenziell besser, wie auch Nora Imlau meinte.




Und die Wellen der Elternblogger schwappen manchmal sogar bis ins Familienministerium. Das neue Unterhaltsvorschuss-Gesetz ist nicht zuletzt Bloggerinnen wie Christine Finke von Mama-arbeitet zu verdanken, die bestimmten Themen aus dem Elternkosmos zu einer großen Öffentlichkeit verhelfen. Mit dem von Finke und anderen Mütterbloggern ins Leben gerufenen Hashtag #muttertagswunsch beispielsweise twitterten viele Momblogger ihre Forderungen an die Politik. Große Zeitungen und bedeutende Medien berichteten. Finke wurde auf der Blogfamilia übrigens mit dem Blogfamilia-Award ausgezeichnet. Der wird verliehen an Elternblogger, die sich besonders gesellschaftlich engagieren.

Lest ihr Elternblogs? Warum? Was nehmt ihr daraus mit? Hinterlasst gerne einen Kommentar!

Fotos: Mamaclever

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Kategorien: Allgemein
Eva Dorothée Schmid: Ich bin Journalistin und Mutter eines Sohnes (geb. 2012) und einer Tochter (geb. 2015), wohne in Hamburg und versuche als Mamaclever, Eltern fundierte Antworten auf alle Fragen zu geben, die sich mit Baby, Klein- oder Kindergartenkind so stellen.
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