In den 1970er-Jahren kamen zunächst Tragetücher auf den Markt, doch vielen Nicht-Hippies waren die entweder zu kompliziert oder zu “öko”. Die Firma Babybjörn brachte dann die erste Tragehilfe auf den Markt, die man wie einen Rucksack über die Schultern trägt und die schnell angelegt werden kann. Das fanden viele schick und es war auch viel einfacher, als ein Tragetuch zu binden. Damit hat die Firma maßgeblich dazu beigetragen, das Tragen in Deutschland zu verbreiten.
Mittlerweile sind Mütter und Väter, die ihr Baby vor dem Bauch tragen, nicht mehr aus dem Straßenbild wegzudenken und die Auswahl an Tragehilfen ist riesig groß. Expertinnen unterscheiden zwischen Slings, Mei Teis, Wrap Conversion, Halb- und Vollschnallentragen, Komforttragehilfen, Onbus und Podeagis. Neben Firmen, die sich auf Tragehilfen spezialisiert haben, haben inzwischen auch zahlreiche große und bekannte Hersteller von Babyartikeln Tragehilfen im Sortiment.
Mit einer Tragehilfe kann man das Kind vor dem Bauch mit dem Blick zum Tragenden umhertragen, in vielen Modellen auch auf dem Rücken und teilweise sogar auf der Hüfte. Einige Modelle ermöglichen zudem das Tragen vor dem Bauch mit Blick nach vorne – eine Trageweise, die allerdings sehr umstritten ist und die ich nicht empfehlen würde. Warum, darüber habe ich in diesem Post schon einmal geschrieben.
Jeder kann sich Trageberater nennen
Kein Wunder, dass sich rund ums Tragen auch noch ein neuer Berufsstand gebildet hat – jener der Trageberaterinnen. Der Begriff Trageberaterin ist allerdings nicht geschützt und staatlich nicht anerkannt. Es gibt keine standardisierte Ausbildung und weder einen Berufsverband noch eine Dachorganisation. Theoretisch kann sich also jede Person Trageberaterin nennen und Trageberatungen anbieten. Und jeder kann eine Trageschule gründen, kostenpflichtige Ausbildungen anbieten und Zertifikate ausstellen.
Und so gibt es im deutschsprachigen Raum mittlerweile acht Trageschulen und schätzungsweise rund 2.000 zertifizierte Trageberaterinnen. Und jede hat ihre Meinung dazu, welche der zahlreichen Babytragen auf dem Markt die beste ist. Und natürlich sind Trageberaterinnen der Meinung, ohne eine Trageberatung könne man sein Kind nicht vernünftig tragen.
Das Tragen ist von einer natürlichen zu einer sehr komplizierten Sache geworden. Aber auf welcher wissenschaftlichen Grundlage eigentlich? Es gibt zwar fünf Studien, die zeigen, dass das Tragen in vielerlei Hinsicht Vorteile für das Baby hat, aber mir ist keine bekannt, die untersucht, wie und in welcher Tragehilfe das Baby am besten getragen werden sollte.
Kriterien für eine gute Tragehilfe
“Die Hüftgelenke sind gut über 90 Grad gebeugt. Das Tragetuch geht bis dicht oberhalb des Kniegelenkes. Das ist für die Hüftgelenke die idealste Trageweise”, sagt Dr. Ewald Fettweis, Facharzt für Orthopädie, dessen Schwerpunkt Hüftgelenksdysplasien sind. Einig sind sich so gut wie alle Trageberaterinnen darin, dass eine gute Babytrage die Beinchen des Babys so unterstützt, dass sie mehr als 90 Grad angehockt sind. Anhock-Spreizhaltung nennt sich das im Fachjargon. Darunter versteht man jene Körperhaltung, die ein neugeborenes Kind automatisch einnimmt, wenn man es hochhebt. Die Beine sind angehockt, die Knie befinden sich auf Bauchnabelhöhe und die Oberschenkel sind leicht abgespreizt. In dieser Haltung kann das Kind gut auf der Hüfte getragen werden. Um die korrekte Anhock-Spreizhaltung zu gewährleisten, muss der Steg zwischen den Beinen des Babys also breit genug sein, sonst hängen die Beine beim Tragen einfach herunter. Das Kind kippt dann ins Hohlkreuz, was für seinen Rücken nicht so gut ist.
Am besten wird die Anhock-Spreizhaltung über verschiedene Altersstufen hinweg mit einem Steg gewährleistet, der (stufenlos) verstellbar ist, so die gängige Meinung der Trageberaterinnen.
Tragetuchstoff – das Nonplusultra?
Der Rücken soll sich in der Tragehilfe leicht runden und muss vor allem in den ersten Lebensmonaten gut abgestützt werden. Etliche Trageberaterinnen sind der Meinung, das sei nur dann möglich, wenn die Tragehilfe aus Tragetuchstoff gefertigt ist – und diese Meinung liest man auch immer wieder in Facebook-Foren. Da werden dann sämtliche Tragehilfen verteufelt, die nicht aus Tragetuchstoff sind.
Was aber ist eigentlich Tragetuchstoff? In der technischen Fachsprache gibt es keinen solchen Tragetuchstoff, genauso wenig wie es Hemdenstoff, Mützenstoff oder Jackenstoff gibt. Tragetuchstoff ist ganz einfach der Stoff, aus dem Tragetuchhersteller ihre Tücher fertigen. Und der kann je nach Hersteller ganz schön unterschiedlich sein.
Eine Gemeinsamkeit hat der verwendete Stoff der Tragetuchhersteller allerdings: er ist diagonalelastisch. Das heißt, in der Länge und der Breite des Tuches muss ein gewebtes Tragetuch stabil sein und darf nicht nachgeben, in der Diagonalen ist es elastisch und dehnbar. Das kann aber auf sehr viele gewebte Stoffe zutreffen, nicht nur auf die, die renommierten Tragetuchhersteller wie Didymos, Hoppediz oder Storchenwiege verwenden. Und deshalb ist dieses Argument ziemlich schwachsinnig.
Bei ganz kleinen Babys muss die Tragehilfe zudem den Kopf des Kindes stützen, weil es diesen noch nicht selbst halten kann.
Wichtig ist auch der Komfort für die tragende Person
Wichtig ist allerdings auch, dass die Tragehilfe leicht anpassbar ist an das Kind und an die tragende Person – sonst wird sie wahrscheinlich eher selten genutzt. Und sie muss bequem und entlastend für den Tragenden sein – sonst wird sie ebenfalls eher im Schrank liegen bleiben.
Ein weiterer Aspekt ist das Material, aus dem die Tragehilfe hergestellt ist. Babys lutschen gerne an den Trägern, deshalb sollten diese natürlich giftfrei sein. Außerdem gilt es zu bedenken, in welcher Jahreszeit das Baby getragen werden soll – atmungsaktive, dünne Stoffe sind im Hochsommer sehr viel angenehmer für Baby und Tragenden als dicke Konstruktionen.
Die Trageberaterinnen meinen es sicher nur gut – schießen aber manchmal über das Ziel hinaus. Für Babys ist es gut, wenn sie getragen werden – dabei ist es (vor allem für Kinder ohne Hüftprobleme) fast egal in welcher Trage. Hinter vielen Ansichten stecken persönliche Vorlieben, wissenschaftlich begründet ist das wenigste. Egal mit welcher Tragehilfe man sein Kind herumträgt – Schaden werden gesunde Babys kaum nehmen, auch wenn die Haltung mal nicht hundertprozentig korrekt ist. Mütter in Afrika oder Asien, die ihre Kinder oft sehr viel häufiger tragen als Mütter hierzulande, machen sich darum sicher keine Gedanken. Und auch wir sollten das Tragen etwas entspannter sehen – auch wenn der Berufstand der Trageberaterinnen dann natürlich weniger dringend gebraucht wird.
Tests von Tragehilfen
Es gibt drei Tests, in denen Tragehilfen getestet wurden – mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Die Hebammen-Zeitschrift hat im Februar 2009 einen Test veröffentlicht, in dem die Hamburger Hebamme und Trageberaterin Jenny Grallert zusammen mit 30 Eltern 40 Tragehilfen auf ihre Eignung als gesunde Tragehilfe, Benutzerfreundlichkeit und Komfort für Kind und Tragenden getestet hat. Jenny Grallert ist Trageberaterin der Dresdner Trageschule und sie ist mir persönlich bekannt – sie hat mich nach der Geburt meiner beiden Kinder im Wochenbett betreut.
In diesem Test haben vier Tragehilfen die Note “sehr gut” bekommen: Der Bondolino* von Hoppediz, der Ergo Baby Carrier*, die Manduca* und der Marsupi*.
Ökotest hat 2016 Komforttragen getestet
Die Zeitschrift Ökotest hat im August 2016 neben Tragetüchern auch 12 Komforttragen getestet. Neben der Belastung mit Schadstoffen war auch der Tragekomfort ausschlaggebend für das Testurteil.
Mit “sehr gut” wurden zwei Tragen bewertet: Die DidyTai Ellipsen* und die Emeibaby Trage *. Die Note “gut” gab es für den Bondolino*, die Amazonas Babytrage Smart Carrier Nemo* und die Kokadi Tragehilfe Flip Babysize*.
Die von vielen Trageberaterinnen als Gruseltrage geschmähte Baby Björn One hat übrigens ein “befriedigend” bekommen. Mit “ausreichend” schnitt das Modell von Stokke My Carrier ab und “mangelhaft” gab es für die Chicco Babytrage Close to you und für die Maxi-Cosi Easia Babytrage. Komplett durchgefallen ist der Hauck 3-Way Carrier und die Safety 1st Youmi mit der Note “ungenügend”. Auffallend ist, dass vor allem Modelle von Firmen, die nicht auf Tragehilfen spezialisiert sind, schlecht abgeschnitten haben.
Das Magazin Ökotest hat 2011 schon einmal 15 Tragehilfen unter die Lupe genommen, in erster Linie wurden damals der Schadstoffgehalt, die Eignung aus orthopädischer Sicht und die Vollständigkeit der Bedienungsanleitung überprüft. Als „gut“ bewerteten die Tester bei den Komforttragen, zu denen sie auch die Ringslings und Mei Tais zählen, die Ringslings von Dolcino* (Model Kuba) und Storchenwiege* (Eric Bio). Die Note „befriedigend“ erhielten der Freehand Mei Tai 3 in 1 (Marie Retro) und die Manduca Baby- und Kindertrage.
Der Test war in Hebammen- und Trageberaterkreisen sehr umstritten, denn Tragen wie der bekannte Ergo Baby Carrier, der von den Komforttragen als eines von nur zwei Modellen eine sehr gute Stützung und Sitzposition des Kindes bescheinigt bekam, erhielten die Note ungenügend, weil die Tester Schadstoffe im Stoff nachwiesen.
Meine Empfehlung: Der Bondolino
Für das Portal allesbeste.de habe ich an meiner damals zehn Monate alten Tochter sieben Babytragen getestet, die entweder sehr verbreitet sind oder häufig von Trageberaterinnen empfohlen werden. Darunter der Babybjörn One*, die Manduca*, der Ergobaby Original*, der Bondolino*, die Emeibaby Trage *, der Marsupi* sowie zum Vergleich ein Billigmodell von Elenker*, von dem ich aber dringend abraten würde.
Auch sehr gut gefallen hat mir die Emeibaby-Trage, die allerdings teurer und komplizierter in der Handhabung ist, dafür ist ihr Steg stufenlos verstellbar.
Manduca versus Ergobaby Carrier
Auch mit der beliebten Manduca* kann man nicht viel falsch machen, ich würde sie immer dem Ergobaby Carrier vorziehen – auch wenn ich den selbst zu Hause habe. Er ist der Manduca recht ähnlich ist, hat aber einige Nachteile. Die Kopfstütze des Ergobaby Carriers ist anders als bei der Manduca nicht verstaubar. Und was noch entscheidender ist: Man benötigt für den Ergobaby Original einen Neugeborenen-Einsatz, wenn man ein Kind tragen will, das weniger als 5,5 Kilogramm wiegt. Mit dem Einsatz ist dann aber sehr viel Stoff um das Baby herum – was im Sommer unangenehm warm werden kann. Außerdem kostet der Einsatz rund 25 Euro extra, so dass die Manduca die bessere und günstigere Wahl ist.
Günstig und gut für die erste Zeit: Der Marsupi
Und wer primär für die ersten Monate eine Trage sucht und nicht so viel Geld ausgeben will, der ist mit dem Marsupi* super beraten. Der ist von allen getesteten Tragehilfen am einfachsten anzulegen, sehr leicht und passt für unterwegs in jede Handtasche. Ich habe meine Tochter noch mit zwölf Monaten kurzzeitig darin getragen, wenn ich beispielsweise nur kurz zum Bäcker musste, weil er so einfach und unkompliziert anzulegen ist.
Meinen ausführlichen Tragehilfen-Test könnt ihr übrigens hier nachlesen.
Fotos: Hersteller
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