Gerade in der Schwangerschaft wird für Frauen jede Tablette zur Gewissensentscheidung. Zu groß ist auch 50 Jahre nach dem Contergan-Skandal die Angst, einfach alle Medikamente könnten das Baby schädigen. Das millionenfach verkaufte Beruhigungsmedikament Contergan, das den Wirkstoff Thalidomid enthielt, konnte bei der Einnahme in der frühen Schwangerschaft Schädigungen in der Wachstumsentwicklung der Föten hervorrufen. Contergan half unter anderem auch gegen die typische morgendliche Schwangerschaftsübelkeit in der frühen Schwangerschaftsphase und galt im Hinblick auf Nebenwirkungen als besonders sicher. „Die Erfahrung mit Contergan hat sich eingebrannt“, weiß der Berliner Kinderarzt Christof Schaefer. „Daraus hat sich eine gewisse Übervorsicht entwickelt, bei der gelegentlich von Ärzten nur das potenzielle Risiko von Medikamenten gesehen wird, nicht aber der Schaden, den eine Nichtbehandlung anrichten kann.“ Mütter hören auch häufig wegen einer Erkrankung, die medikamentös behandelt werden muss, auf zu Stillen – oft wäre das nicht nötig.
Christof Schaefer leitet das Pharmakovigilianz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie in Berlin, kurz Embryotox genannt. Es gehört zur Charité und ist mit zahlreichen europäischen Embryotox-Zentren verknüpft. Das Institut arbeitet unabhängig von der pharmazeutischen Industrie und wird gemeinsam vom Land Berlin und vom Bund (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – BfArM) finanziert. Für das BfArM und das Paul-Ehrlich-Institut erfasst, bewertet und übermittelt Embryotox unerwünschte Arzneimittelwirkungen in der Schwangerschaft und Stillzeit.
Seit 2008 betreibt es das für alle frei zugängliche Internetportal Embryotox. Hier kann sich jeder über die Wirkungen vieler Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit informieren. Die Resonanz ist groß : Mehr als eine Million Klicks verzeichnen die Betreiber, seit die Website an den Start ging. Auch die Telefone klingeln ständig – obwohl sich das Angebot der Telefonberatung in erster Linie an Ärzte und Kliniken richtet. Aber weil in vielen Praxen keine Zeit ist, um die dringenden Fragen von Schwangeren zu beantworten können dort auch werdende Mütter anrufen (Tel 030 / 30308-111). Nahezu 20 Prozent aller Anfragen betreffen die Behandlung einer psychischen bzw. psychiatrischen Symptomatik.
Hinweise auf dem Beipackzettel sind nicht immer verbindlich
Viele glauben, dass die knappen Hinweise auf Beipackzetteln und der roten Liste, dass die meisten Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit nicht verwendet werden dürften, bindend sind. Doch dem ist nicht so. In vielen Fällen wollen die Hersteller einfach auf Nummer sicher gehen und raten von der Einnahme der Medikamente ab, ohne ausführlich zu beschreiben, welche Erfahrungen es damit gibt. Das Problem ist die schlechte Datenlage: Aus ethischen Gründen werden Schwangere nicht an sogenannten Doppelblind-Studien beteiligt, bei denen eine Gruppe der Teilnehmer das Medikament und die andere Gruppe ein Placebo erhält. Die Embryotox-Experten gewinnen ihre Daten deshalb aus eigenen als auch den klinischen Beobachtungen ähnlicher Zentren in Europa und Nordamerika. Durch die enge Zusammenarbeit kommen genügend Fälle zusammen, um verlässliche Aussagen zur Wirkung der Mittel treffen zu können.
Die Internetseite ersetzt nicht den Arztbesuch
Für Mütter, die sich dort informieren, ist es sehr wichtig, dass sie die Internetplattform nicht als Grundlage für eigenmächtige Therapieänderungen oder andere Entscheidungen zur Schwangerschaft oder beim Stillen verwenden ohne Beteiligung ihres betreuenden Arztes. Die Informationen sind oft sehr komprimiert und ohne medizinisches Hintergrundwissen können sie falsch interpretiert werden. Embryotox ersetzt also nicht den Arztbesuch und die ärztliche Beratung im Einzelfall.
[twoclick_buttons]